Transvisuelle Dramatik 2006 – Theater für Blinde und Sehende

Den Ausgangspunkt für die Konzeption des Festivals bildet ein kombinierter ästhetisch – sozialpolitischer Befund: Das Theater hat bislang kaum Wege ausprobiert, um Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen in das Publikum mit einzubeziehen.
Dabei läge der Versuch, die Dominanz des Sehens im Theater zu durchbrechen, durchaus im Horizont gegenwärtiger ästhetischer Überlegungen. Welche Raumkonzepte, welche andere Sinnlichkeit (akustisch, taktil, olfaktorisch, ja sogar optisch, wenn wir von kräftigen Lichtsignalen ausgehen), schließlich welche Stimulation der eigentlichen Kraft im Theater, der Phantasie der Zuschauer, werden denkbar, wenn man vom Weg der Guckkastenbühne, des reinen Schautheaters abweicht? Wie verändert ein solcher Ansatz unsere Sicht des Theaters? Die Manipulation der Ausdrucksmöglichkeiten des Schauspielers, das zeigt sich prominent am Beispiel der Stücke von Samuel Beckett, kann Möglichkeiten des Erzählens eröffnen, die herkömmliches Theater an Intensität und visionärer Kraft häufig übertreffen.
Nicht zuletzt liegt im Versuch, einer Welt, die medial zunehmend von optischem Müll erdrückt wird, alternative Ausdrucksmöglichkeiten zu erschließen, auch ein utopisches Moment. In diesem Sinne trifft sich der Ansatz der Transvisuellen Dramatik mit Entwicklungen im Bereich des Tanzes, der Klangkunst und anderer im weitesten Sinne „ökologischer“ Ansätze des zeitgenössischen Kunstgeschehens.

Das hier vorgestellte 1. Festival nimmt sich gegenüber der hier skizzierten Programmatik eher bescheiden aus. Doch hoffen wir, dass von dem Festival Impulse zu einem Gespräch ausgehen werden, dessen Früchte zukünftigen, reiferen Festivals zugute kommen könnten.